Johanna Marks, M.A., StR‘
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Sowohl aus den Bildungswissenschaften als auch den Fachdidaktiken ist die Hinwendung zu Standards und Kompetenzen trotz aller Skepsis, offener (Forschungs-) Fragen und begrifflicher Diversität heute nicht mehr wegzudenken – und dies, obwohl die Begriffe noch vor der Jahrtausendwende im deutschen Bildungskontext quasi unbekannt waren. Der Anfang ihrer Karriere, dies ist hinlänglich bekannt, ist markiert durch den PISA-Schock, auf den die Kultusministerkonferenz im Jahr 2003 mit der Festlegung von Bildungsstandards reagierte: Anstelle von Inhalten und Wissenselementen legen diese Leistungsniveaus fest, die Absolvent*innen zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Ausbildung erreicht haben sollen. Da die enttäuschenden Ergebnisse aus den internationalen Schulvergleichstests im Sinne einer, empirisch keinesfalls abgesicherten, Kausalkette Lehrerbildung –> Lehrerkompetenz –> Schülerkompetenz außerdem auf die mangelnde Professionalität der Lehrkräfte zurückgeführt wurden, kam es in kurzem zeitlichen Abstand auch zur Standardisierung der Lehrerbildung; 2004 zunächst für den bildungswissenschaftlichen Bereich, 2008 dann auch für die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Studienanteile. Die Reaktion von Seiten der scientific community war insgesamt eher negativ (vgl. z.B. Blömeke 2006, Lütge 2012, Wipperfürth 2009). Die Darstellung der fremdsprachendidaktischen Ausbildungsanteile hielt man für zu schematisch und im Vergleich zu den bildungswissenschaftlichen und den fachwissenschaftlichen Anteilen auch für zu kurz.
Angesichts der Bedeutung fachdidaktischer Kompetenzen für die Gestaltung eines gelingenden, auf kommunikative, interkulturelle und mediale Kompetenzen ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts ist Wipperfürth (2009: 11) unbedingt zuzustimmen, wenn sie von der Disziplin fordert, „zu zeigen, in welche Richtungen der Anteil fremdsprachendidaktischer Kompetenzstandards gestärkt werden kann und muss“. Hierzu ist die Erweiterung des Blickfelds auf den europäischen Kontext lohnenswert, der mittlerweile eine Reihe unterschiedlichster Referenzrahmen speziell für Fremdsprachenlehrende bereit hält (vgl. z.B. das European Profile for Language Teacher Education von 2004, das European Portfolio for Student Teachers of Languages aus dem Jahr 2007, den Cambridge English Teaching Framework von 2014 oder den Eaquals Framework for Language Teacher Training and Development aus dem Jahr 2016). Es lässt sich folglich erkennen, dass die frühen 2000-er Jahre sowohl im europäischen als auch im bundesdeutschen Kontext die Geburtsstunde der Standardisierung des Fremdsprachenlernens als auch des Fremdsprachenlehrens markieren. Seither ruht das Projekt Standardisierung weder international noch national. Ganz im Gegenteil sind die Veröffentlichung der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache durch die KMK, die ‚Neuauflage’ der Professionsstandards für die Bildungswissenschaften mit den Erweiterungen zur Inklusion sowie die Erarbeitung von Professionsstandards auch für die beruflichen Fachrichtungen eher ein Indikator für die Weiterentwicklung dieses Projekts. Eindrücklich dokumentiert ist diese Konjunktur der Standards auch in einer vom European Centre for Modern Languages in Graz zusammengestellten Liste mit weltweit 50 Professionsstandards. Erfreulich ist darüber hinaus, dass im Zuge der allgemeinen Hinwendung zur Fremdpsrachenlehrkraft als Forschungsgegenstand innerhalb der Projekte TEDS-LT, FALKO-E, ZeBiG und PKE vermehrt fremdsprachendidaktische Forschung zur Genese von professioneller Kompetenz betrieben wird, denn diese Forschung ist ein wichtiger Schritt hin zu einer empirischen Validierung der Professionsstandards.
Erstaunlich ist angesichts dieser Entwicklungen, dass Standards für die (Fremdsprachen-) Lehrerbildung bisher wenig erforscht sind. Zwar nehmen einige Dissertationen eine Analyse der KMK-Dokumente vor, diese Forschungsarbeiten sind jedoch an einzelnen allgemeinpädagogischen Facetten interessiert. Der fremdsprachendidaktischen Perspektive hingegen ist bisher nur selten Aufmerksamkeit geschenkt worden (vgl. jedoch Hallet 2006, Lütge 2012, Rossner 2017, Roters 2012, Wipperfürth 2009). Die aufgeführten Arbeiten rezipieren aber entweder nicht mehr die oben skizzierten aktuellen Entwicklungen oder sie sind nicht im deutschen Bildungskontext situiert. Zusammenfassend besteht daher aus fremdsprachendidaktischer Perspektive der dringende Bedarf, zu eruieren,
- wie sich die Orientierung an Kompetenzen und Standards innerhalb der für die Fremdsprachendidaktik relevanten Konzepte, Modelle und Forschungsansätze zur Lehrerbildung verorten lässt
- wie Standards für die Lehrerbildung professionelle Kompetenz, insbesondere die von Fremdsprachenlehrer*innen, definieren und modellieren und welchen Platz sie der Fremdsprachendidaktik einräumen
- wie die Fremdsprachendidaktik die kompetenzorientierte Lehrerbildung mitgestaltet bzw. mitgestalten sollte.
Die Klärung dieser Fragen will das hier präsentierte Dissertationsvorhaben leisten. Anliegen dieser Arbeit ist dabei nicht, den Wert der Standard- und Kompetenzorientierung für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrer*innen insgesamt zu bestimmen, sondern die Praxis der Umsetzung zu untersuchen und – wenn notwendig – aus dieser Analyse Optimierungspotentiale abzuleiten. Damit erweitert sie den ansonsten eher bildungswissenschaftlich geprägten Diskurs um Kompetenzen und Standards um die so essentielle und häufig geforderte fachspezifische, hier fremdsprachendidaktische, Perspektive. In forschungsmethodischer Hinsicht geschieht diese Perspektivenerweiterung auf zweifache Weise: Zum einen theoretisch-konzeptionell, indem bestehende Konzepte, Diskurse und Forschung zur (Fremdsprachen-) Lehrerbildung nachgezeichnet und systematisiert werden, zum anderen qualitativ-empirisch, indem das oben beschriebene Textkorpus an politischen Dokumenten in Bezug auf seine fremdsprachendidaktischen Anteile ausgewertet wird. Für diese Dokumentenanalyse haben sich dabei Forschungsansätze sowohl geisteswissenschaftlicher (Hermeneutik, Poststrukturalismus) als auch empirischer (Qualitative Inhaltsanalyse, Grounded Theory, Diskursanalyse) Prägung als fruchtbar erwiesen. Das Projekt versteht sich als fachlicher Beitrag zu einer aktuellen bildungspolitischen Diskussion. Es ist geplant, die Arbeit im Herbst 2019 einzureichen.
Literatur
Blömeke, Sigrid (2006). „KMK-Standards für die LehrerInnenbildung in Deutschland. Ein
Kommentar“. Journal für LehrerInnenbildung 1, S. 25-33.
Hallet, W. (2006). Didaktische Kompetenzen: Lehr- und Lernprozesse erfolgreich gestalten. Stuttgart: Klett.
Lütge, C. (2012). „Was sind und zu welchem Ende diskutiert man Kompetenzstandards für Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer?“ In: G. Blell & C. Lütge (Hrsg.). Fremdsprachendidaktik und Lehrerbildung. Konzepte, Impulse, Perspektiven. Münster: LIT, S. 185-204.
Rossner, R. (2017). Language Teaching Competences. Oxford: Oxford University ELT.
Roters, B. (2012). Professionalisierung durch Reflexion in der Lehrerbildung: Eine empirische Studie an einer deutschen und US-amerikanischen Universität. Münster: Waxmann.
Wipperfürth, M. (2009). „Welche Kompetenzen brauchen professionelle Fremdsprachenlehrer und –lehrerinnen?“. Forum Sprache 2, S. 6-21.