Prof. Dr. Birgit Schädlich
Universität Göttingen
Das Projekt ist am Seminar für Romanische Philologie (Abteilung Didaktik) der Universität Göttingen angesiedelt. Als Langzeitprojekt fokussiert es Praxisphasen der universitären Lehrer*innenbildung (vgl. Hascher 2012; Roters 2012). Konkret sind dies fünfwöchige Blockpraktika im Master of Education Französisch, die durch Vor- und Nachbereitungsseminare gerahmt sind. Über hochschuldidaktische Elemente wie z.B. Microteachings oder die Arbeit mit Portfolios (vgl. Schädlich 2015, 2019a) sollen reflexive Prozesse fokussiert angebahnt werden.
Im Zentrum des Projekts steht das Verhältnis verschiedener für das unterrichtliche Handeln relevanter Wissensformen sowie ihrer Bezüge aufeinander (vgl. Neuweg 2011). Dabei interessieren reflexive Handlungen, die subjektive Erfahrungen in Praxissituationen mit fachdidaktischem Textwissen in Verbindung bringen. Die empirischen Teilstudien arbeiten zum einen mit Interviews, in denen Studierende nach Beendigung des Moduls befragt werden, sowie zum anderen mit Audioaufzeichnungen in den Veranstaltungen des Moduls. Die Daten werden mit Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Kuckartz 2012) sowie in der dritten Projektphase mit narrativen Auswertungsverfahren (vgl. Kohler-Riessmann 1993) bearbeitet.
- Wie nehmen Studierende das Praktikumsmodul im Fach Französisch vor dem Ziel der Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz wahr und wie bewerten sie einzelne hochschuldidaktische Elemente (z.B. Microteachings, Portfolios) zu ihrer Förderung?
- Welche Aspekte reflexiver Handlungskompetenz können in den Interviews mit den Studierenden unabhängig von deren subjektiver Bewertung einzelner Elemente des Moduls identifiziert werden?
- Sind Veränderungen der reflexiven Handlungskompetenz im Professionalisierungsprozess über einen längeren Zeitraum hinweg (z.B. nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes und ersten Jahren des Berufseinstiegs) beobachtbar, und wie lassen sie sich beschreiben?
Die einzelnen Projektphasen differenzieren einzelne Aspekte der übergeordneten Fragen weiter aus und verwenden hierzu verschiedene Methoden und Instrumente qualitativ empirischer Forschung.
In der ersten Phase (abgeschlossen) wurde das hochschuldidaktische Konzept des Praxismoduls (vgl. Schädlich 2015) aus der Perspektive der Studierenden evaluiert. Zentral war die Frage, wie die hochschuldidaktische Intention der Stärkung von erfahrungsbasierter Reflexion in Anbindung an Theoriebestände fachdidaktischen Wissens von den Studierenden wahrgenommen und bewertet wurde. Die Studierenden wurden dazu mit strukturierten Interviews zu einzelnen hochschuldidaktischen Elementen des Moduls befragt. Die Interviews wurden inhaltsanalytisch ausgewertet und als Aufsatz publiziert (Schädlich 2015).
Die zweite Phase (abgeschlossen) widmete sich der Identifikation fachdidaktischer reflexiver Handlungskompetenz, die unabhängig von der subjektiven Bewertung der Studierenden in den Interviews ausgemacht werden kann. Ausgehend von einer Arbeitsdefinition (vgl. Schädlich 2019a) wurden über inhaltsanalytische Zugriffe mit deduktiven und induktiven Kategoriensystemen Elemente des Konstrukts identifiziert und unter dem Begriff der Interimsdidaktik beschrieben. Mit „Interimsdidaktik“ ist in Anlehnung an den Begriff der Interimsprache (Selinker 1972) gemeint, dass Studierende im Praktikum fachdidaktisches Wissen transitorisch und idiosynkratisch konstruieren, um Erfahrungen in Lehr-/Lernsituationen der Praktika situationsbezogen zu reflektieren. Es können in diesem System zwar regelhafte Elemente ausgemacht werden, die Art der Verarbeitung und Entwicklung ist jedoch plurikausal, individuell und verläuft gerade nicht stufenförmig progredierend (vgl. Hatton/Smith 1995; Roters 2012). Die Interimsdidaktik setzt demnach nicht bei der Überprüfung ex-ante etablierter Kompetenzmodelle oder Standards an, sondern nimmt die episodische Erinnerung an subjektive Erfahrungen im Praktikum zum Ausgangspunkt der Mobilisierung fachdidaktischer Wissensaspekte. Die Ergebnisse wurden als Monographie publiziert (Schädlich 2019a).
Die dritte Phase (laufend) widmet sich einerseits der dritten Forschungsfrage und fokussiert die Veränderungen studentischer Wahrnehmung auf Praxisphasen. Andererseits werden die Ergebnisse der zweiten Projektphase weiter ausdifferenziert. Für die Frage der berufsbiografischen Entwicklung werden die Studierenden erneut interviewt. Die Interviews sind stärker narrativ angelegt als die der ersten Phase und integrieren im Nachfrageteil stimulated recalls, bei denen die Studierenden Passagen der ersten Interviews erneut kommentieren.
Die Erweiterungen der Interimsdidaktik werden über Interviews sowie in situ-Daten (v.a. Audiomitschnitte, digitale Einträge in Lernplattformen wie z.B. Beiträge zu Wikis) reflexiver Lehr-/Lernsituationen (z.B. Nachbesprechungen von Unterricht während des Blockpraktikums, Diskussionen in Plenumsphasen der Begleitseminare) entwickelt, die an den Grenzen inhaltsanalytischer Herangehensweisen ansetzen: Ein wichtiges Ergebnis der Vorarbeiten, bzw. Merkmal der Interimsdidaktik ist die Situations- und Kontextbezogenheit fachdidaktischer Reflexionsprozesse. Während bislang eher an präetablierten Kategorien orientierte hypothesentestende bzw. -differenzierende Verfahren angewendet wurden, erscheint ergänzend eine Öffnung zu rekonstruktiven Verfahren und solchen notwendig, die in den Handlungssituationen der Reflexion selbst ansetzen. Die neuen Daten nehmen entsprechend das situative und interaktionale Moment reflexiver Prozesse auf und untersuchen die Strukturen, die der Interimsdidaktik unterliegen. In den Blick genommen werden dabei auch spezifische Themenfelder, wie beispielsweise Mehrsprachigkeit (vgl. Schädlich 2019b). Entstehen soll eine Grounded Theory (vgl. Strauss 1998) fremdsprachendidaktischen Handlungswissens im Kontext der universitären Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften.
Literatur
Hascher, T. (2012). Lernfeld Praktikum – Evidenzbasierte Entwicklungen in der Lehrer/innenbildung. In: Zeitschrift für Bildungsforschung 2, S. 109–129.
Hatton, N./Smith, D. (1995). Reflection in teacher education: Towards a defintion and implementation. In: Teaching and Teacher Education 2, S. 109–129.
Kohler-Riessmann, C. (1993). Narrative Analysis. Newbury Part et al.: Sage Publications.
Kuckartz, U. (2012). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim/Basel: Beltz/Juventa.
Neuweg, G. H. (2011). Praxis als Theorieanwendung? Eine Kritik am „Professionsgenerierungsansatz“. In: Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung 3, S. 17–26.
Roters, B. (2012). Professionalisierung durch Reflexion in der Lehrerbildung. Eine empirische Studie an einer deutschen und einer US-amerikanischen Universität. Münster: Waxmann.
Schädlich, B. (2019a). Fremdsprachendidaktische Reflexion als Interimsdidaktik: eine qualitative Inhaltsanalyse zum Fachpraktikum Französisch. Stuttgart: Metzler.
Schädlich, B. (2019b). Und was wird dann aus den Texten? Interaktionen im Wiki als hochschuldidaktischer Ansatz und Forschungsgegenstand in der Lehrer*innenbildung“. In: Burwitz-Melzer, E.; Riemer, C. & Schmelter, L. (Hg.): Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Tübingen: Narr, S. 205-215.
Schädlich, B. (2015). Fachpraktika im Master of Education Französisch aus der Perspektive der Studierenden: Ein Beitrag zur Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz? In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 26:2, S. 255–285.
Selinker, L. (1972). Interlanguage. International Review of Applied Linguistics 10, 209-231.
Strauss, A. L. (1998). Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Wiesbaden: Fink.